Dominik May
  3. Verhandlungstag
 

Heimtücke schwer nachzuweisen

Prozess um Messerattacke auf der Kerb: Anklage auf Mord möglicherweise nicht zu halten

Von Alexander Schneider

Die Anklage im Prozess um die tödliche Messerattacke auf der Usinger Kerb lautet zwar nach wie vor auf Mord aus Heimtücke, der Vorsitzende Richter schließt inzwischen aber auch Totschlag nicht mehr aus. Für den Angeklagten würde das eine erheblich geringere Strafe bedeuten.

Frankfurt/Usingen. War es vielleicht doch kein Mord? Im «Usinger Kerbe-Prozess» deutet sich, was die juristische Bewertung anbelangt, möglicherweise eine Wende an. Am gestrigen zweiten Verhandlungstag vor der 21. Großen Strafkammer beim Landgericht Frankfurt wurde vom Vorsitzenden Richter Klaus Drescher vorsorglich darauf hingewiesen, dass unter Umständen auch eine Verurteilung wegen Totschlags in Frage kommt.

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Es könne schwierig werden, dem 21-jährigen Grävenwiesbacher Marcel S. das ihm in der Anklageschrift unterstellte Mordmerkmal der «Heimtücke» nachzuweisen. Zeugenaussagen, wonach S. kurz vor dem Zustechen das Messer noch hinter dem Rücken verborgen gehalten haben soll, könnten dies alleine nicht exakt belegen. Die Staatsanwaltschaft hatte aus dem Umstand, dass das Opfer, der 20-jährige Neu-Anspacher Dominik May, den Angriff mit dem Messer nicht habe ahnen können, Heimtücke beim Täter abgeleitet und deshalb Mord angenommen.

Eine Verurteilung wegen Totschlags hätte für den Angeklagten die Folge, dass nicht automatisch wie bei Mord lebenslange Haft, das heißt mindestens 15 Jahre, angeordnet würde. Das Gesetz sieht für Totschlag Freiheitsstrafen nicht unter fünf Jahren vor. Nur bei nachgewiesenen schweren Fällen kann es auch «Lebenslang» geben.

Das Gericht nahm gestern auch Einblick in den Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten. Bis zu der Tat in Usingen war der junge Mann, so der Richter, strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Verlesen wurden ferner die Gutachten der Gerichtsmediziner über den Grad der Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt. Danach ist davon auszugehen, dass Marcel S. in der Tatnacht gegen 2.15 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,21 und höchstens 2,37 Promille hatte. Ein Vollrausch, so das Gießener Institut der Rechtsmedizin, scheidet damit aus. Welchen Einfluss die im Blut des Angeklagten gefundenen geringen Spuren von Cannabis auf das Tatverhalten gehabt haben können, wird noch erläutert.

Die Verhandlung gestern wurde bereits nach 20 Minuten wieder geschlossen. Während der Angeklagte am ersten Prozesstag immer wieder in Tränen ausgebrochen war, die Hände vors Gesicht geschlagen hatte und von seinem Verteidiger beruhigt werden musste, machte er gestern einen sehr ruhigen, gefassten Eindruck.

Rechtsanwalt Andreas Moses, der die als Nebenkläger auftretende Familie des Getöteten vertritt, war gestern ohne seine Mandantschaft zum Prozess erschienen. Am ersten Verhandlungstag hatten die Eltern und Geschwister des Opfers das Geschehen im großen Schwurgerichtssaal fast reglos, mit versteinerten Gesichtern verfolgt.

Neben der Familie war auch ein Freund (20) des getöteten Neu-Anspachers als Nebenkläger zugelassen worden. Seine Schilderung der Tatumstände belegt die besondere Tragik der verhängnisvollen Begegnung: Er hatte ausgesagt, unmittelbar vor dem tödlichen Messerstich vom Angeklagten einen Kinnhaken bekommen zu haben. «Ich bin durch den Schlag zurückgetaumelt, dann ist er mit dem Messer auf mich zugelaufen», schilderte er die dramatischen Sekunden. Während er Fersengeld gab, «um mein Leben zu retten», muss der Angeklagte mit dem zuvor hinter dem Rücken verborgenen Messer May erstochen haben. Möglicherweise hatte May, der zuvor nicht aktiv in den Streit verwickelt gewesen sein soll, versucht, sich Marcel S. in den Weg zu stellen.

Der zweite Begleiter des Opfers, ein 21-jähriger Neu-Anspacher, hat ausgesagt, er habe gesehen, «dass der Angeklagte die rechte Hand hinter dem Rücken hatte, ich dachte an einen Schlagring oder so etwas, aber nicht an ein Messer». Er glaube nicht, dass Marcel S. gezielt seinen Freund töten wollte: «Ich denke, er wollte einfach einen von uns treffen, egal wen.»

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Die beiden Begleiter des Angeklag-ten, ein 19- und ein 20-Jähriger, verweigerten die Aussage zum Tattag. Gegen sie wird wegen Körperverletzung beziehungsweise versuchter Strafvereitelung gesondert ermittelt. Allerdings beantworteten sie Fragen des Richters über die Persönlichkeit des Angeklagten. Beide wollen sehr eng mit Marcel S. befreundet sein und ihn noch nie aggressiv erlebt haben: «Er war immer nett und hilfsbereit, gutmütig und friedlich», sagte der 19-Jährige. Der Frage des Richters, ob er wisse, ob S. Waffen habe und öfters mit einem Messer bewaffnet sei, versuchte sich der Zeuge zu entziehen. Widerwillig sagte er schließlich, er habe das nicht mitbekommen, «wir durchsuchen uns nicht gegenseitig».

Besonders tragisch: Ein weiterer Zeuge, ein 20-jähriger Neu-Anspacher, der zu keiner der beiden Dreiergruppen gehört hat, sagte zum Auftakt des Streits: Die Gruppe des Angeklagten sei als «Nazis» beschimpft worden, woraufhin «Hurensohn» zurückgerufen worden sei. Allerdings sei die Beleidigung von einer anderen Gruppe ausgegangen. Die Dreiergruppe um Dominik May war also irrtümlich ins Visier der späteren Kontrahenten geraten. as


 
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